Verwurzelt in zwei Kulturen

06.08.2018

Von: Sven Mohr


Seit 1998 lebt Omar Mardinli mit seiner Familie in Deutschland. Im Alter von achteinhalb Jahren flüchteten er und seine Familie aufgrund politischer Verfolgung aus seinem Heimatland. Im Interview mit dem Redakteur des "Lokalen Bündnis für Familie Saarlouis", Sven Mohr, spricht der 28jährige über seine Geschichte, Parallelen zur heutigen Flüchtlingssituation, Ängsten, Probleme sowie Chancen, Möglichkeiten und neuen Herausforderungen.



Omar Mardinli. Bild: Privat

Sven Mohr: 

Hr. Mardinli. Seit 1998 leben Sie mit Ihrer Familie in Deutschland. Sie kommen ursprünglich aus Syrien? 

 

 

Omar Mardinli: 

Richtig. Wir sind kurdische Syrer. Ich habe fünf Geschwister. 1998 mussten wir aus politischen Gründen unser Heimatland verlassen. Aufgewachsen bin ich in der Stadt Amude. Diese liegt an der Grenze zur Türkei. Insgesamt waren wir über sechs Monate auf der Flucht, bis wir Deutschland erreicht haben. Auf der beschwerlichen Flucht mussten wir in den verschiedensten Flüchtlingslagern verharren. 

 

 

Sven Mohr: 

Seit Jahren erreichen uns viele Flüchtlinge aus Syrien. Sehen Sie Parallelen zu früher? 

 

 

Omar Mardinli: 

Unsere Flucht liegt fast 20 Jahre zurück. Wir hatten einen sehr beschwerlichen Weg. Seit Jahren erreichen viele Hilfesuchende aus Syrien Deutschland innerhalb weniger Wochen. Sie sind mittels Handy besser vernetzt als es bei uns war. Der Grund ist jedoch gleich tragisch wie bei uns – sie müssen aus Ihrem eigenen Land fliehen. 

 

 

Sven Mohr: 

In Deutschland angekommen - hatte Ihre Familie ein Anlaufziel? Wurdet Ihr direkt einer Stadt zugewiesen? 

 

 

Omar Mardinli: 

Es gibt einen Onkel, welchen wir nach der Einreise auf direktem Wege besuchten. Nach einer Woche wurden wir der Aufnahmestelle in Lebach zugewiesen, wo wir um die zwei Jahre lang lebten. 

 

 

Sven Mohr: 

Haben Sie noch Erinnerungen an die Aufnahmestelle? Können Sie es kurz aus Ihrer Sicht beschreiben? 

 

 

Omar Mardinli: 

Besonders für uns Kinder war es nicht schön – ein Familienleben konnte nicht wirklich zustande kommen. Es waren zu viele unterschiedliche Menschen auf engstem Raum. Rückzugsmöglichkeiten waren nicht vorhanden, es war laut und unübersichtlich. Wir waren in einem fremden Land. Wir hatten keine Möglichkeiten uns irgendwie zu integrieren. Wir waren nur mit Menschen zusammen, welche selbst auf der Flucht waren. Nach der Erteilung des Aufenthaltstitels durfte meine Familie sich eine Wohnung suchen. Es zog uns nach Völklingen. 

 

 

Sven Mohr: 

Wie ging es weiter? 

 

 

Omar Mardinli: 

Mein Vater suchte sich schnell eine Arbeitsstelle. Er arbeitete seitdem als Hilfsarbeiter. Meine Mutter besuchte umgehend einen Sprachkurs. Jedoch geschah alles auf Eigeninitiative meiner Eltern. Als Kinder bemerkten wir, dass unsere Eltern anfangs große Hürden zu bewältigen hatten. Wir Kinder besuchten die Schule. 

 

 

Sven Mohr: 

Habt ihr in Völklingen mit anderen syrischen Familien zusammen gewohnt? 

 

 

Omar Mardinli: 

Nein - wir lebten inmitten der Gesellschaft. Rückblickend war dies das Beste was uns passieren konnte. 

 

 

Sven Mohr: 

Können Sie dies näher beschreiben? 

 

 

Omar Mardinli: 

Wir waren auf uns gestellt. Wir waren froh uns endlich frei bewegen zu können und mit den Menschen zu sprechen in dessen Land wir geflohen sind. Natürlich war das für uns alle schwer - aber so haben wir schneller die Sprache und auch die Kultur erleben und erlernen können. Wir Kinder hatten in der Völklinger Schule weniger das Problem. Aber auch mein Vater hatte auf der Arbeit viele Kontakte. Dadurch konnte er sich nach anfänglichen Schwierigkeiten immer besser integrieren. Durch den täglichen Besuch der Sprachkurse viel es meiner Mutter immer leichter, neue Kontakte zu knüpfen. 

 

 

Sven Mohr: 

Was ist Ihrer Meinung nach wichtig um sich, egal wo man lebt, erfolgreich zu integrieren? 

 

 

Omar Mardinli: 

Rückblickend kann ich nur von mir/uns sprechen. Es ist meiner Meinung nach wichtig, sich an Regeln zu halten und anzupassen. Man muss von sich aus Initiativen ergreifen und nicht warten bis jemand etwas für einen tut. Sprache ist sehr wichtig. Sprache erlernt man nur dann, wenn man nicht zusammengepfercht auf engstem Raum mit Menschen lebt, welche das gleiche Schicksal teilen wie man selbst. Sprachkurse sind gut, aber man lernt die Sprache besser und schneller, wenn man dies im normalen Alltag auch lebt - mitten in der Gesellschaft und nicht am Rand. Dank der Sprachkompetenz erhält man somit die Möglichkeit zu arbeiten. Mit seiner Arbeit kann man sich einerseits selbst zu verwirklichen und andererseits für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen. 

 

 

Sven Mohr: 

Es gibt bestimmt Unterschiede im Alltag zwischen der deutschen und syrischen Kultur. Gibt es dort etwas was bestimmtes, was ihnen und der Familie Kopfzerbrechen bereitet hatte und vielleicht noch tut? 

 

 

Omar Mardinli: 

Ja Unterschiede - die gibt es. Es gibt vieles was hier in Deutschland ganz anders gehandhabt wird. Das betrifft sehr viele Bereiche im Alltag - egal ob im privaten oder Arbeitsleben. Oftmals wurden wir mit Dingen konfrontiert, mit denen wir nichts anzufangen wussten. Das Schlimmste von allem: Anträge und das berühmt berüchtigte "Bürokratendeutsch". Viele Formulare, viel zu lesen, für viele unverständlich. Hier hätten wir uns gewünscht Hilfe zu erhalten. Jemand der uns manches erklärt. Wir haben uns bei vielem alleine durchkämpfen müssen bis wir 2010 endlich die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben. 

 

 

Sven Mohr: 

In einem Vorgespräch habe ich erfahren, dass es Ihnen am Herzen liegt Neuankömmlingen zu helfen als Kulturdolmetscher. Können Sie uns dazu etwas sagen? 

 

 

Omar Mardinli: 

Wie schon besprochen haben ich und meine Familie vieles durchlebt. Wir haben uns fast alleine durchgeschlagen und standen oftmals vor einem Berg von Fragen. Hier möchte ich anderen helfen. Helfen in einer ihr fremden Kultur zurecht zu kommen. Ihnen als eine Art "Vorbild" zu helfen, sie zu ermutigen und auch bei kulturellen Schwierigkeiten zu helfen. 

 

 

Sven Mohr: 

Wenn ich das Richtig verstehe, dann kann man hier folgende Aussage treffen: Die Übersetzung eines Wortes schafft noch kein Verständnis! Trifft das hier zu? 

 

 

Omar Mardinli: 

Genau. Ich bin in zwei Kulturen verwurzelt - kann somit neben der sprachlichen auch weitere Brücken schlagen. Ich kann als Vermittler agieren, da ich die syrische Kultur kenne. Es ist zusätzlich eine Vermittlung von Vorstellungen, Wahrnehmung, das Nehmen von Ängsten und vieles mehr. Aus diesem Grund freue ich mich, zukünftig als Kulturdolmetscher Menschen in Saarlouis bei Problemfällen helfen zu können. Hier werde ich in Absprache die Abteilung "Familie und Soziales der Kreisstadt Saarlouis" unterstützen. 

 

 

Sven Mohr: 

Ich bedanke mich im Namen der Redaktion für dieses Interview. Vertretungsweise wünsche ich Ihnen weiterhin gutes Gelingen und viel Freude in ihrer zukünftigen Funktion des Kulturdolmetschers. 

 

 

Das Interview wurde geführt zwischen Omar Mardinli und Sven Mohr. 


 

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  • Sven Mohr
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