Mehr als nur eine Namensbenennung

24.06.2022

Von: Sven Mohr


Margarete Bardo (1916 – 2000), Delphine Motte (1816 – 1898), Lisa Stromszky-Stockhausen (1921 – 1999) oder auch „die Borromäerinnen"(Konvent in Saarlouis von 1810 bis 1939) vereint in Saarlouis eine lange Zeit des sozialen Engagements. Mit ihrer vielfältigen Art und Weise des gesellschaftlichen Wirkens halfen sie den Menschen vor Ort aktiv und prägten dadurch gewissermaßen die heutige Stadtgeschichte mit. Zu ihren Ehren wurden im Dezember 2020 vier Innenstadtplätze zwischen der Bibelstraße, Französische Straße und Weißkreuzstraße benannt. Coronabedingt konnten die Plätze erst eineinhalb Jahre später feierlich eingeweiht werden. Stellvertretend für alle Plätze fand die Einweihungsfeier auf dem neuen "Margarete-Bardo-Platz" in der Weißkreuzstraße statt.



Trotz sommerlichen Temperaturen versammelten sich über 50 Gäste auf der offiziellen Einweihungsfeier auf dem neuen „Margarete-Bardo-Platz“. Die Eröffnungsrede hielt Peter Demmer, Oberbürgermeister der Europastadt Saarlouis. Bilder: Sven Mohr

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Das Deutx Ensemble" Oranna Kaspter und Thomaes Bernardy sorgte mit ihren französischen Chansons für einen gelungenen musikalischen Rahmen

Interviewpartnerin Marion Jost, Bürgermeisterin der Europastadt Saarlouis

Interviewpartnerin Irene Portugall, Vorsitzende des "LSVD Landesverband Saar e.V." über Margarete Bardo

Interviewpartnerin Sr Waltraud Schnitker über die Borromäerinnen

Dr. Claudia Wiotte-Franz, Frauenhistorischer Arbeitskreis im Lokalen Bündnis für Familie in Saarlouis, verlas eine Grußbotschaft der Schwestern der Kongregation der Borromäerinnen aus Nancy

Der einzige männliche Interviewpartner Georg Stockzausen (links am Interview-Tisch) über seine Mutter Lisa Stromszky-Stockhausen

Am Vormittag der offiziellen Einweihung wurde die Beschilderung zum „Margarete-Bardo-Platz“ noch verdeckt

Oberbürgermeister Peter Demmer und Bürgermeisterin Marion Jost enthüllten stellvertretend für alle Plätze das Schild zum „Margarete-Bardo-Platz“

Im Anschluss der Feier luden die Kreisstadt Saarlouis in Kooperation mit dem Bündnis "Faire Stadt Saarlouis" zum Umtrunk ein

"Namen von Straßen und Plätzen prägen die lokale Identität. Sie sind lebendige Orte des Erinnerns", zitierte Peter Demmer, Oberbürgermeister der Europastadt Saarlouis, aus dem aktuellen Stadtmagazin XIV der Stadt Saarlouis. In seiner Eröffnungsrede dankte er den anwesenden Vertreter*innen des Saarlouiser Stadtrates dafür, dass durch den einstimmigen Beschluss, nun vier Innenplätze in Saarlouis nach Frauen benannt worden sind. Auf Antrag des Frauenbeirates und der Frauenbeauftragten hatte der Stadtrat Ende 2020 beschlossen, die vier Innenstadtplätze zwischen der Bibel-, Französischen- und Weißkreuzstraße nach Saarlouiser Aktivistinnen zu benennen. Die Vorschläge wurden durch ein Voting der Frauen im Lokalen Bündnis für Familie (Frauenhistorischer Arbeitskreis) ermittelt.

Margarete Bardo und Delphine Motte erhalten jeweils einen Platz in der Weißkreuzstraße - die Borromäerinnen und Lisa Stromszky-Stockhausen jeweils einen Platz in der Bibelstraße. Trotz der zentralen Lage mitten in Saarlouis waren diese Plätze bislang namenlos. Jetzt bilden sie zentral in der Innenstadt eine starke weibliche Parallele zu den zumeist männlichen Namensträgern der Stadthistorie. Laut der Sprecherin der Frauen im Lokalen Bündnis, Hella Arweiler, sei es ihnen im Frauenhistorischen Arbeitskreis besonders wichtig, die Bedeutung und Arbeit der Saarlouiser Frauen in Saarlouis und den Stadtteilen sichtbarer zu machen. Die Geschichte von Saarlouis würde zumeist durch die Militärbetrachtung gesehen werden, die sich aus der Gründung als einstige Festungsstadt ableiten lässt. Die Aufgabe des "Frauenhistorischen Arbeitskreises" sei es jene Frauen ins öffentliche Licht zu rücken, die das soziale und gesellschaftliche Leben, die Kultur, die Bildung, die Gesundheit, die Pflege und die Erziehung in die Stadt Saarlouis und die Region brachten. In detaillierter Kleinstarbeit werden unter anderem Lebensläufe von Frauen aus Saarlouis und seiner Stadtteile betrachtet, recherchiert, publiziert und dokumentiert. "Es wurden bereits erste Straßen nach verdienten Frauen benannt. Mit der Benennung der ersten Plätze sind wir einen Schritt weiter. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, die Leistungen der Frauen sichtbar zu machen. Die Benennung von Straßen und Plätzen ist ein Mittel dieses Ziel zu erreichen" so Hella Arweiler abschließend.

In einer großen Runde wurden Personen interviewt, die in unterschiedlichster Form wie Freundschaften, wissenschaftliche Aufarbeitung oder auch familiärer Zugehörigkeit, mit den geehrten Namensgeber der Plätze stehen oder standen sowie auch jenen, die mit dem Prozess der Namensbenennung zu tun hatten. Die Interviews führte Michael Leinenbach vom „Lokalen Bündnis für Familie Saarlouis“. Zu einer der Interviewpartner* innen zählte die Bürgermeisterin der Europastadt Saarlouis, Marion Jost. Sie repräsentierte die Frauen der Verwaltungsspitze in der Stadt Saarlouis. Auf die Fragen „was denken Sie muss politisch noch erfolgen, um die Gleichberechtigung bzw. Parität weiter voranbringen zu können?“ oder auch, „was wären weitere Schritte, die in der Aufbereitung in Saarlouis noch erfolgen sollten?“, nahm sie jeweils Stellung. Marion Jost bedankte sich für die engagierte Arbeit der Frauen im Lokalen Bündnis. Nach Erscheinen des zweiten Bandes der Publikationsreihe „Hall of Fame“ wird die Geschichte der Saarlouiser Frauen auch einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Im Gespräch mit Irene Portugall, Vorsitzende des "LSVD Landesverband Saar e.V.", erfuhren die zahlreichen Gäste mehr über Margarete Bardo (1916 – 2000) - auch liebevoll "Madame" genannt. Zeit ihres Lebens war sie eine unermüdliche Mitstreiterin im Kampf für die Rechte und die Gleichberechtigung von Homosexuellen. Laut Irene Portugall sei Margarete Bardo für die homosexuelle Community heute immer noch eine Legende im Saarland. Mit ihrem Lokal "Madame" sei sie Kultinstitution. Im Jahr 1961 übernahm sie das Lokal als früheren "Bierkäfig" - ein sicherer Rückzugsort für Homosexuelle. Zu frührer Zeit galt Homosexualität als kriminell - gesicherte Rückzugsorte gab es nicht. Durch ihre kuragierte und sehr mutige Art und Weise setzte Margarete Bardo ein Zeichen in und für Saarlouis (von 1951 bis 1961 leitete sie den Lothringer Hof) - trotz widrigster Umstände und Hass gegenüber ihr und ihrem Lokal. Egal wer der früheren Unternehmerin gegenüberstand – Bardo verhielt sich jedem und jeder gegenüber stets respektvoll. Nachdem sie ihr Lokal in Saarlouis aufgab, führte Bardo das Lokal „Madame“ in Saarbrücken. 1998 wurde Margarete Bardo der Saarländische Verdienstorden für ihren Einsatz für Schwule und Lesben verliehen.

Sr Waltraud Schnitker vertrat an diesem besonderen Tag "Die Borromäerinnen". Die „Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus“ (frz. LA CONGREGATION DES SOEURS DE CHARITE DE SAINT-CHARLES), kurz auch als „Borromäerinnen“ bezeichnet, wurde 1652 in Nancy gegründet und widmete sich in erster Linie der Kranken- und Altenpflege. Im Jahr 1810 kamen die ersten vier Borromäerinnen nach Saarlouis und übernahmen das „Hospice de Charité de Sarrelouis“ mit der Armen- und Krankenpflege und eine Mädchenschule in der Bierstraße. Bis zu ihrem Weggang im Jahr 1939 prägten die Borromäerinnen die Armenhilfe und Erziehung in Saarlouis. Am gleichen Tag der Einweihung des Platzes, feierten die Schwestern der Kongregation in Nancy ihr 350-jähriges Jubiläum. Während des Interviews verlas Dr. Claudia Wiotte-Franz eine schriftliche Grußbotschaft der Schwestern aus Nancy. Darin dankten sie für diese besondere Würdigung. Saarlouis war für die Borromäerinnen die erste Gründung im Ausland im Jahr 1810.

Delphine Motte (1816 – 1898) zeichnete sich als Aktivistin für Armutsbekämpfung und Wohltäterin aus. Unter anderem kaufte sie im Jahr 1888 für 16000 Mark das Haus Herrenstraße 33 (heute Friedensstraße 12) und schenkte es den Franziskanerinnen. Das Marienhaus bekam sie zurück und gab es den Borromäerinnen, die es als Dienstbotenheim, Industrie- und Nähschule nutzten. Dies waren nur zwei Beispiel der großen Wohltäterin der Stadt Saarlouis. Über das soziale Engagement sprach im Interview Dr. Claudia Wiotte-Franz, welche sich innerhalb des Frauenhistorischen Arbeitskreises intensiv mit dem Leben und Wirken der früheren Wohltäterin und Mäzenin befasste.

Lisa Stromszky-Stockhausen (1921 – 1999) wird als Aktivistin für die Völkerverständigung, den europäischen Gedanken und Schriftstellerin in Erinnerung bleiben. Sie erlebte als junge Erwachsene die Schrecken des Krieges, floh in dieser Zeit nach Bayern und kam mit einigen Zwischenstationen schließlich nach Saarlouis zurück. Nach den dramatischen Erfahrungen des 2. Weltkrieges reifte in ihr die Überzeugung, dass nur ein geeintes Europa eine abermalige Kriegskatastrophe verhindern kann. Sie war eine überzeugte Europäerin. 20 Bücher mit Lyrik und Prosa, ein Bühnenstück und ein Hörspiel zählen zu den Werken von Lisa Stromsky-Stockhausen. Im Interview sprach der Sohn von Lisa Stromszky - Georg Stockhausen.

Mit französischen Chansons wurde die Einweihungsfeier auf dem "Margarete-Bardo-Platz" musikalisch durch das "Deux Ensemble - Oranna Kasper und Thomas Bernardy“ begleitet. Zum Abschluss der Zeremonie spielten sie den Song von Edith Piaf "Non, Je ne regrette rien" (Nein, ich bereue nichts!). Dieser Song galt als Lebensmotto von Margarete Bardo - oder liebevoll auch "Madame" genannt. Im Anschluss der Feier luden die Kreisstadt Saarlouis in Kooperation mit dem Bündnis "Faire Stadt Saarlouis" zum Umtrunk ein. Neben kühlen Erfrischungsgetränken, konnten weitere faire gehandelte Produkte gekostet werden.

Nach der offiziellen Einweihung folgte eine Führung zu den weiteren verbleibenden drei Innenhöfen, die nach den Saarlouiser Aktivistinnen benannt wurden. Die Leitung hierfür übernahm Hella Arweiler, Sprecherin der Frauen im Lokalen Bündnis, in Kooperation mit der Katholischen Familienbildungsstätte. Die neu benannten Plätze sollen in Zukunft weiter aufbereitet werden. Unter anderem sollen Informationstafeln angebracht werden, die mehr über das Wirken der Frauen berichten.

Der Kulturausschuss der Kreisstadt Saarlouis hatte am 20. November 2013 folgenden Beschluss gefasst: „Bei der zukünftigen Benennung von Straßennamen sollen mehr verdiente Saarlouiser Frauen berücksichtigt werden. Um die Suche zu erleichtern, wird der Frauenhistorische Arbeitskreis unter der Leitung von Frau Dr. Wiotte-Franz mit einbezogen.“ Im Rahmen des Lokalen Bündnisses für Familie Saarlouis hatte sich der „Frauenhistorische Arbeitskreis Saarlouis“ Mitte 2009 gegründet.

 

 

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